Wie entwickelt sich die DIY-Branche nach Corona? Darüber diskutierten auf dem “8. DIY E-Commerce-Tag” von HHG, IVG und ecom consulting zahlreiche namhafte Experten. Wir haben die wichtigsten Ergebnisse zusammengefasst.

Seit acht Jahren diskutieren der Herstellerverband Haus und Garten (HHG) und die Digitalberatung ecom consulting auf dem „DIY E-Commerce-Tag“ zusammen mit Experten der Branche über die Digitalisierung im Handel mit Haus- und Gartenprodukten. Doch dank Corona hat die Branche vermutlich noch nie so aufmerksam zugehört wie in diesem Jahr. „Wer stationär und online gut aufgestellt war, konnte während der ersten Welle der Corona-Pandemie in Deutschland Profite mitnehmen“, skizziert Gastgeber Norbert Lindemann, stellvertretender Geschäftsführer des HHG, die Ausgangslage. Und auch für das „New Normal“ der Post-Covid-19-Ära ist er sicher: “E-Commerce als eigenständiger Absatzkanal ist gesetzt.”

Wie genau sich durch Corona die Kanäle verschoben haben, zeigte Dr. Kai Hudetz, Geschäftsführer des IFH Köln, anhand konkreter Zahlen auf. Vor Corona lag der Online-Anteil der Umsätze der Branche bei deutlich unter zehn Prozent. Auch die Veränderung zum Vorjahr war mit unter zehn Prozent im Vergleich zu anderen Branchen und ausgehend von einem niedrigen Level verhältnismäßig gering. 

Online-Shift auch im DIY-Bereich

Doch durch Corona haben sich den IFH-Analysen zufolge auch im DIY-Bereich die Kanäle massiv in Richtung digital verschoben. So liegt der Anteil der Kunden, die Produkte, welche sie vor Corona stationär gekauft hätten und nun online kaufen, in der KW 34 bei 12 Prozent, in der Kategorie Gartengeräte/-ausstattung kommt man auf 13 Prozent und im Bereich Baumarktartikel/Heimwerken auf 20 Prozent. Zwar sanken diese Werte im Vergleich zum absoluten Online-Peak in der KW 19 wieder deutlich ab. Doch „das viel zitierte New Normal ist nicht das, was wir vor der Pandemie gesehen haben“, sagt IFH-Mann Hudetz. „Da reden wir über ein anderes Level.“

Digitale Services gewinnen an Bedeutung – vor allem im DIY-Markt

Was konkret nach Covid-19 passieren wird, darauf will sich der Marktforscher allerdings nicht konkret festlegen. „Dafür sind zu viele Unbekannte in der Gleichung“, so Hudetz. Sicher ist er sich aber, dass der Online-Anteil weiter deutlich ansteigen wird. Für den Gesamtmarkt inklusive FMCG geht er von 11,2 bis 26,3 Prozent aus. „Covid-19 hat die Zeitschiene für Entwicklungen im Digitalbereich deutlich verkürzt“, sagt er. „Wir werden Ende des Jahres einen Zustand haben, den wir ohne Corona erst in fünf Jahren erwartet hätten.“ 

Vor allem die Weiterentwicklung digitaler Services sieht Hudetz im Kommen. „Wenn das Produkt selber vergleichsweise unspannend ist und es nicht gelingt, sich über das Produkt selber zu differenzieren, dann gewinnen Services an Bedeutung, die zum Beispiel Kanäle vernetzen oder Beratung online abbilden“, prognostiziert er. Grundsätzlich gehe er davon aus, dass sich der Bereich DIY / Garten / Construction auch im kommenden Jahr auf dem Niveau dieses Jahres halten kann, allerdings nicht mehr die Wachstumsraten dieses Jahres aufweisen wird. Die Branchenteilnehmer fordert er auf, mutig sein. „Es ist nicht die Zeit, große Lager zu füllen, es ist die Zeit, agil zu handeln“, sagt er. Dafür brauche man Unternehmergeist und den Mut, in unsicheren Zeiten Entscheidungen schnell zu fällen und sein Unternehmen schnell zu digitalisieren.

Welche Herausforderungen auf die Hersteller in der digitalisierten Post-Covid-19-Ära zukommen, skizzierte sehr eindringlich Direct-Brands-Experte Stefan Hövel in seinem Vortrag.

Der Gründer des Portals Direct-Brands.de warnte die etablierten Hersteller davor, die Bedeutung der D2C Marken (die in Deutschland immer noch unter dem Radar der Hersteller fliegen) zu unterschätzen. 

In einigen Branchen haben sie nämlich laut Hövel schon bald das Potenzial, zweistellige Marktanteile auf sich zu ziehen. Auch wenn die Categories des DIY noch nicht stark davon betroffen sind – angrenzende Warengruppen wie Haus, Wohnen und Garten sind bereits eine beliebte Spielwiese für diese Marken.

Die Zeit ist reif für Direct Brands

„Die Zeit ist reif für Direct Brands“, ist sich der D2C-Experte sicher. Sein Portal wächst täglich um mehrere neue Marken, für Deutschland geht Hövel bis Ende des Jahres daher von mindestens 600 Direct-Brands aus. Zu den Playern, die die DIY-Branche im Auge behalten sollte, zählen im Bereich Farbe und Malen Start-ups wie Clare, Backdrop oder Lick, die mit interessanten Interfaces und Services zu Farbwahl und Farbberatung den Markt neu definieren. Im Bereich Werkzeuge greifen Player wie Wiesemann 1893, Glowforge oder Robbox den Markt an. Im Bereich Garten bauen Firmen wie Plantura, Fyta oder Toadi neue Angebote auf. Und in Sachen Sicherheit und Türsysteme machen Unternehmen wie Eufy, Nuki oder Tapkey mit neuen Lösungen von sich reden.

Niedrige Einstiegsbarrieren und eine hohe Kundenloyalität

„Während etablierte Unternehmen mit Sortimenten, Saisonen, Omnichannel-Problemen und der digitalen Transformation kämpfen, tun sich die neuen Herausforderer leichter“, ist Hövel überzeugt. “Wer zielgerichtet und fokussiert D2C startet, weiß schnell, was funktioniert, und kann entsprechende Entscheidungen treffen.”  Zumal die Einstiegsbarrieren deutlich geringer und die Kosten und Risiken für direkte Vertriebsmodelle extrem gesunken sind. Shopsysteme wie Shopify, Woocommerce oder andere würden es den Direct Brands sehr einfach machen, online zu verkaufen. CRM-Systeme können sie heutzutage ohne großen Aufwand über die Cloud nutzen. Soziale Netzwerke liefern den direkten Draht zum Kunden, die, wenn sie einmal einer D2C Marke folgen, automatisch immer mehr und immer neue Marken sehen. Darüber hinaus fokussieren die Direct Brands in der Regel nur auf eine Warengruppe Bereich, was die Komplexität des Geschäfts im Vergleich zu etablierten Brands deutlich reduziert.

In der Sortiments- und Marketing-Architektur unterscheiden sich Direct Brands meist signifikant von klassischen Herstellern. Während diese quer über große Sortimente weiterhin auf Werbebotschaften setzen, erzählen Direct Brands gerne spannende Gründerstories, sprechen über Nachhaltigkeit und Sinnhaftigkeit, was vor allem auf sozialen Kanälen besser funktioniert. Hier kommen nun verschiedene Mechaniken zusammen, die sich gegenseitig verstärken, denn Fokussierung, Targeting und Resonanz führen zu völlig neuen Effekten. Etablierte Marken wirken hier – wenn sie es überhaupt schaffen – leider etwas unbeholfen, wenn sie sich auf Facebook oder Instagram in Storytelling versuchen. Und dann stellt sich auch immer noch die Frage: Was ist die Conversion, wenn man keinen direkten Vertriebskanal anbieten kann?

„Aus Kundensicht erscheinen die Direct Brands oft sinnhafter, digitaler und persönlicher“, sagt Hövel. Und die Kundenzufriedenheit sei auch nach dem Kauf hoch. Einer Studie von Forrester zufolge würden 95 Prozent der Käufer von Direct Brands auch wieder bei einem solchen Anbieter bestellen.

Ohne Fachhändler behält eine Brand die Hoheit über Preis und Marke

Wie genau eine Direct Brand funktioniert, schilderte im Anschluss Manuel Siskowski, Gründer und Geschäftsführer der E-Commerce-Only-Werkzeugmarke Wiesemann 1893. Den Löwenanteil seines Umsatzes erzielt er über Plattformen. „Wir haben uns den Bereich Handwerk angeschaut und gesehen, dass viele Hersteller nicht direkt auf eine Plattform gehen, sondern den Weg über den Fachhandel nehmen“, sagt er. Das allerdings führe in der Praxis zu massiven Preisschlachten und einer extremen Intransparenz beim Kunden. „Der versteht doch gar nicht, warum 99 Händler das Produkt mit 100 verschiedenen Preisen verkaufen“, sagt der Gründer. „Und das ist auch nicht die Art und Weise, wie ich meine Marke dargestellt sehen will.“

Als Hebel für den Erfolg sieht Siskowski vor allem die Content-Produktion. „Da investieren wir viel Zeit und Ressourcen“, sagt er. Anders als klassische Hersteller kommuniziere man wenig zum Produkt oder dessen Qualität und Tradition, sondern versuche eher, sich als Lifestyle-Produkt zu positionieren. „Unsere Markenkerne sind Adventure, Friendship und Dedication“, sagt der D2C-Experte. Dies wolle man auch über die passenden Bilderwelten kommunizieren.

Von der Konkurrenz versucht sich das Unternehmen aber auch durch neue Services abzugrenzen. „Wir wollen es schaffen, die Wertschöpfung zu 100 Prozent zu digitalisieren“, sagt Siskowski. „Und da ist additive Fertigung einer der Hebel“. Zu jedem einzelnen Produkt, sei es auch nur eine einzelne Vier-Zentimeter-Nuss, kann der Kunde sich Zubehör herunterladen. Dieses Angebot versteht Siskowski aber nicht nur als Kundenservice, sondern auch als Branding-Tool. “Wir sehen eine recht große Schnittmenge zwischen den beiden Kundengruppen. Wer sich für additive Fertigung interessiert, ist meistens auch Werkzeugkäufer”, so der Gründer. 

Insgesamt sind unter der Marke Wiesemann 1893 bereits 125 Produkte zu kaufen. Das Unternehmen ist auf sieben Amazon-Marktplätzen präsent und verkauft an Kunden in 30 Ländern. Zwei Drittel des Geschäfts geht an Endkunden, den Rest liefert das Unternehmen vornehmlich über Amazon Business an Geschäftskunden. Ein Großteil des Umsatzes, so gesteht der Gründer, läuft über Marktplätze. „Es ist wahnsinnig schwer, Kunden bei dieser Produktgruppe an den Shop zu binden und wir beobachten die wirklich brutale Dominanz der Marktplätze. Aber wir versuchen, dies zu unserem Vorteil zu benutzen und bestmöglich zu bespielen.“

DIY noch ohne Big-Player im Marktplatzgeschäft

Um das Thema Marktplätze ging es auch im Vortrag vom Strategie Experten Ralph Hübner von ecom consulting und Gominga-Gründer Christian Driehaus. Beide zeigten anhand von Zahlen, wie die Marktplatzwelt in den vergangenen Jahren regelrecht explodiert ist. Weltweit haben Hübner und Driehaus in ihrer Studie „Marktplatzwelt 2020“ über 500 Player identifiziert, die mit deutlich über 1.000 Domains diverse Branche beherrschen. 

Auch im DIY-Bereich sind im Zuge des Marktplatz-Booms in den vergangenen sechs bis zwölf Monaten Nischenplayer entstanden, vornehmlich im B2B-Bereich und spezialisiert auf ein Material. „Da sehen wir spannende Bewegungen“, so der Marktplatz-Experte Ralph Hübner. Im B2C-Bereich sei die Nische bislang noch nicht besetzt. Allerdings gebe es mit Plattformen wie Manomano ambitionierte Player. 

Als brisant stellten die Referenten die Tatsache dar, dass 29 Prozent aller Marktplätze im DACH-Raum eine Doppelfunktion haben. Sie werden von Händlern betrieben, die darüber ihre eigenen Produkte verkaufen, die Plattform aber auch für andere Player öffnen. Zu den bekanntesten Anbietern zählen Breuninger, Conrad, Metro, Otto, Real, Douglas, About You oder Asos. Dennoch sollten sich alle Branchenteilnehmer mit dem Thema beschäftigen. „Von der Kanalverschiebung Richtung online werden vor allem die großen Marktplätze profitieren“, ist Hübner überzeugt. „Sie sind das überlegene Modell in Sachen Traffic und Datensammlung.“

Vortrag zum Thema Marktplätze sowie Produkt-Reviews jetzt ansehen:

Marktplätze sind mehr als nur ein zusätzlicher Umsatzkanal

Für Hersteller im DIY-Bereich tun sich hierbei selbst dann Potenziale auf, wenn sie dem Vertrieb über Marktplätze skeptisch gegenüber stehen. Denn über Kundenbewertungen und den FAQ-Bereich von Amazon haben sie die Chance, mit ihren Kunden in den direkten Austausch zu gehen und auch von ihnen zu lernen. 

„Der Endkunde klärt nicht mehr nur ausschließlich bei Obi auf der Fläche, wie sein neuer Rasenmäher funktioniert, sondern fragt gezielt auf den einschlägigen Plattformen nach“, betont Driehaus. „Das sollte von den Brands genutzt werden, um das Beratungsgespräch online abzubilden.“ Allerdings bieten bislang nur wenige Online-Marktplätze Formate wie Q&A oder Produktbewertungen an. Neben Amazon sollte die DIY-Branche den Empfehlungen von Driehaus zufolge auch den Schweizer Player Galaxus im Auge behalten. „Das ist einer der wenigen Player, der von der Funktion her in allen Bereichen so gut ist wie Amazon“, so der Review-Experte.

Dass es Herstellern im Marktplatz-Business nicht nur um Umsätze gehen sollte, bestätigt auch Ralph Hübner. So seien die Plattformen ideal, um an Markenbekanntheit zu gewinnen und den Kauf für andere Kanäle vorzubereiten. Sie seien ein ideales Tool für Marktforschung. Auf der anderen Seite bieten sie Irritationsgefahren für den Kunden, beispielsweise weil Inhalte falsch dargestellt, Produkte schlecht bewertet oder Preise unterschiedlich ausgezeichnet werden. Auch mit dem Thema Fake-Produkte auf Marktplätzen müssen sich Händler proaktiv auseinandersetzen.

Schnell einen Webshop zu eröffnen, ist ein unrealistischer Traum

Die vielen Hersteller und Händler, die das Thema Digitalisierung bislang verschlafen haben und „jetzt schnell einen Online-Shop aufsetzen wollen“, holte Harald Meier von Pollin Elektronik unsanft zurück auf den Boden der Tatsachen. Der Wunsch sei zwar nachvollziehbar, brachte er es gleich zu Beginn seines Vortrags auf den Punkt. Doch anders als vor 20 Jahren kaufe inzwischen kein Kunde mehr in einem mittelmäßigen Shop ein. Wer erfolgreich im Web präsent sein wolle, stehe vor erheblichen Herausforderungen. Anbieter müssen sich um Themen wie Technik, Kundenerwartungen, Cybersicherheit, DSGVO, Content-Management, Produktangebot, USP, Kundenfeedback, Marketing, Logistik, Multichannel, Kundenservice oder Pricing kümmern. Sie brauchen ein Modell, dass es verträgt, dass Amazon es sich leisten kann, mit einem Prozent Marge zu operieren, weil das Geld in anderen Bereichen verdient wird. Sie müssen Mehrwerte bieten, die über das eigentliche Produkt hinausgehen. Und sie müssen realisieren, dass nicht mehr Menschen Entscheidungen treffen, sondern Algorithmen. „Sie brauchen eigentlich in jedem Bereich einen Spezialisten“, sagt Meier und hat dann noch eine schlechte Nachricht für die Branche parat: „Und das Personal müssen sie erstmal finden.“

Nichtsdestotrotz, so zitiert der Pollin-E-Commerce-Chef eine Weisheit von Albert Einstein, sei die reinste Form des Wahnsinns, alles beim Alten zu lassen und gleichzeitig zu hoffen, dass sich etwas ändert. ecom consulting Gründer Oliver Lucas, der als Moderator des Events den einzelnen Referenten genauer auf den Zahn fühlte, appellierte zum Abschluss an die Zuhörer, E-Commerce zur Chefsache zu machen. Andernfalls stelle sich kein nachhaltiger Erfolg ein. Spätestens bei den kommenden ”DIY-E-Commerce-Tagen“ in 2021 und 2022 wird man sehen, wie die Hersteller die Impulse in Aktivitäten überführen und ob sich die Prognosen von Kai Hudetz bewahrheiten.